Das „Vier Ohren Modell“

Wissen Sie, wie viele Ohren Sie haben? Biologisch gesehen natürlich zwei. Aber psychologisch gesehen sind es vier! Das besagt das „Vier Ohren Modell“ von Friedemann Schulz von Thun. Was ist damit gemeint?

Die Zusammensetzung einer Nachricht

Der Grundvorgang menschlicher Kommunikation ist folgender: es gibt einen Sender, der etwas mitteilt. Und es gibt einen Empfänger, der diese Nachricht nach seinen Möglichkeiten versteht. In der Regel funktioniert das auch ganz gut. Allerdings nur dann, wenn der Empfänger die Nachricht so versteht, wie sie der Sender gemeint hat. Aber allzu oft klappt das auch nicht, es kommt zu Missverständnissen, zu Spannungen, zu Streit usw..
Schauen wir uns einmal an, was da dahinter steckt:
In einer Nachricht steckt eine Vielfalt von Botschaften, die wir in vier Gruppen einteilen können.
Ein Beispiel: Ein Mann sagt zu seiner am Steuer sitzenden Frau: „du, da vorne ist grün!“
Was kann er nun damit meinen?

1. Sachinhalt
Er kann seine Frau über den Zustand der Verkehrsampel informieren wollen. Er will ihr mitteilen, welches Licht gerade leuchtet.

2. Selbstoffenbarung
In jeder Nachricht stecken nicht nur Informationen über Sachinhalte, sondern auch Informationen über den Sender. So können wir über den Mann, aufgrund seiner Aussage annehmen, dass er im Wachzustand ist, und dass er auch auf den Verkehr achtet. Vermutlich ist er fähig, Farben zu erkennen und mit Sicherheit ist er der deutschen Sprache mächtig. Das alles und noch viel mehr gibt er, aufgrund seiner Äußerung, von sich selbst kund.

3. Beziehung
Aus der Nachricht geht weiters hervor, wie der Sender zum Empfänger steht. Das zeigt sich oft im Tonfall, in der Formulierung und in Form von nonverbalen Hinweisen. Hier reagiert der Empfänger oft empfindlich, denn er fühlt sich in einer bestimmten Weise behandelt (oder misshandelt). In unserem Beispiel könnte die Botschaft rüberkommen: „ich glaube, dass du keine gute Autofahrerin bist.“ Die Frau reagiert dann beleidigt, nicht aufgrund des Sachinhaltes, sondern wegen des Beziehungsinhaltes der Nachricht.

4. Appell
Meistens will der Sender den Empfänger mit seiner Aussage auch beeinflussen. So lautet der Appell vielleicht: „gib Gas, damit wir noch bei grün rüber kommen!“
Die Nachricht dient also auch dazu, dem Empfänger dazu zu bringen, etwas Bestimmtes zu tun, zu denken oder zu empfinden. Dieser Versuch der Beeinflussung kann mehr oder weniger offen oder versteckt sein. Ist er absichtlich versteckt, so nennen wir das meist Manipulation.

Die vier Ohren des Empfängers

Wenn ein Mensch zu einem Anderen etwas sagt, so hat dieser vier grundsätzliche Möglichkeiten, diese Botschaft zu verstehen. Er kann sie sachlich verstehen, er kann sie auf der Beziehungsebene verstehen, er kann auf die Selbstoffenbarung der Mitteilung achten und er kann einen Apell in der Äußerung des Gesprächspartners erkennen.
Er hat sozusagen ein Sachohr, ein Selbstoffenbarungsohr, ein Beziehungsohr,  und ein Appellohr.
Je nachdem welches Ohr gerade am besten hört, kann die Nachricht unterschiedlich aufgenommen werden.
Sachlich versucht der Empfänger die Nachricht zu verstehen, um die Information als Grundlage für weitere Handlungen zu nutzen.
Ist sein Selbstoffenbarungsohr aktiv, dann zieht er Schlussfolgerungen über die Art des Senders. Was ist das für einer? Wie ist er momentan drauf?
Hört er hauptsächlich mit seinem Beziehungsohr, so stellen sich ihm Fragen wie: Was hält er von mir? Bin ich ihm sympathisch? Was glaubt er wer ich bin? Hier reagiert der Empfänger meist emotionell, er fühlt sich persönlich betroffen.
Das Appellohr wiederum beschäftigt sich mit dem Thema: Was will er von mir? Was soll ich aufgrund seiner Aussage tun? Wie will er, dass ich mich fühle, was soll ich denken?

Warum das „Vier Ohren Modell“ so wichtig ist und wie es uns nutzen kann

Nun, da wir alle einzigartige Menschen sind, gibt es unterschiedliche Sender und unterschiedliche Empfänger. Einerseits ist es situationsabhängig, welche Aspekte wir momentan verstärkt kommunizieren, andererseits gibt es unterschiedliche Kommunikationsvorlieben. So wird Männern zugeschrieben, dass sie eher sachlich konzentriert sind und Frauen sind angeblich eher auf der Beziehungsebene kompetent. Wenn nun ein Sender, der schwerpunktmäßig sachlich und apellmäßig unterwegs ist, mit einem Empfänger kommuniziert der es gewohnt ist, hauptsächlich mit dem Beziehungs- und dem Offenbarungsohr zu hören, dann sind Missverständnisse sozusagen vorprogrammiert.
Ein Klassiker: stellen Sie sich vor, es findet eine Unterhaltung eines Ehepaares statt, bei der für sie vor allem die Beziehungsebene wichtig ist, er aber nur auf der Sachebene antwortet. Ergebnis: Ehekrach!
Ist das schon schlimm genug, aber derartige Kommunikationsprobleme können noch viel größere Auswirkungen haben. Denken Sie an dadurch verursachte Fehlleistungen in Medizin und Technik. Natürlich ist auch die Kommunikation zwischen Staaten betroffen. Dadurch verursachte politische Missverständnisse führen zu Spannungen die mitunter kriegerische Auseinandersetzungen zur Folge haben.
Was sich im Großen abspielt, beginnt im Kleinen. Daher ist es wichtig und sehr nützlich, das „Vier Ohren Modell“ zu kennen, um in der Lage zu sein, alle Aspekte der Nachrichtenübertragung gebührend zu berücksichtigen. Selbstverständlich können wir das üben und notwendigerweise sollten wir das auch tun. Nur dann nämlich wird eine ausgeglichene Kommunikation, die Missverständnisse vermeidet und das Einander Verstehen fördert, zur Gewohnheit. Übungen dazu finden Sie im Buch „Miteinander reden: 1“ von Friedemann Schulz von Thun. -> siehe: Das „Vier Ohren Modell“

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