Utilisation – die Nutzbarmachung des Vorhandenen – ist einer der Kernbegriffe der Erickson’schen Hypnose. Er bedeutet, dass alle Eigenschaften oder auch Eigentümlichkeiten die der Klient mitbringt als Ressource genutzt werden können, um das Gelingen einer zielgerichteten Hypnose zu fördern.
Wenn der Klient spezielle Symptome oder Auffälligkeiten in seinem Verhalten zeigt, so lassen diese sich dazu nutzen, um die gewünschten Veränderungen herbeizuführen.
Nachfolgend ein paar Stories, die das veranschaulichen:
Milton Erickson wir zu einem Mann in stationärer psychiatrisher Behandlung gerufen. Der Mann hält sich für Jesus Christus und so fragt ihn Erickson: “ Ich habe gehört, Sie seien ein besonders hilfsbereiter Mann, der sich gerne um andere Menschen kümmert?“ Der Patient bejaht, denn sonst könnte er den Glauben Jesus zu sein nicht aufrecht erhalten. „Und Sie haben Erfahrung als Zimmermann?“ Der Patient muss nun wieder bejahen, denn wenn er Jesus, der Sohn von Joseph ist, muss er wohl gewisse Erfahrung als Zimmermann haben. Darauf beauftragt ihn Erickson, beim Bau eines Bücherregals mitzuhelfen, dass der Klinik und ihren Patienten zugute kommen würde.
Das ist eine raffinierte Intervention, nicht wahr? Denn wenn der Patient seine Identität als Jesus aufrecht erhalten will, kann er diesen Auftrag ja wohl kaum ablehnen. Also beginnt er am Bücherregal mitzuarbeiten. Dadurch wird es aber schwer, in seiner halluzinierten Welt zu bleiben, weil er sich mit seinen Sinnen nach aussen wenden muss, um mit anderen Leuten zu sprechen, moderne Werkzeuge, die es vor zweitausen Jahren noch nicht gab verwenden muss, und sich also in der heutigen Welt orientieren muss, in der Jesus jedoch nie als Mensch gelebt hat. Erickson hat also seine Wahnvorstellung genutzt (=utilisiert) um diese ad absurdum zu führen.
Heutzutage gilt Milton Erickson als Pionier des ressourcenorientierten Ansatzes. In alten Schriften finden sich jedoch durchaus vergleichbare Ansätze. So ist von Abu Sina, dem berühmten persischen Artz, folgende Begebenheit überliefert, die über tausend Jahre zurückliegt, und ebenfalls das Prinzip der Utilisierung deutlich illustriert:
Abu Sina wurde zu einem kranken König gerufen. Der König hielt sich für ein Rind und verweigerte deshalb menschliche Nahrung. Außerdem verlangte er, geschlachtet zu werden, damit das Fleisch unter seinem Volke verteilt werden könne. Alle bisherigen Heilversuche waren fehlgeschlagen.
Zu seinem ersten Besuch beim König band sich Abu Sina eine Metzgerschürze um und rief laut durch den Palast: „Wo ist das Rind, das ich schlachten soll?“ Er betrat das Zimmer des Königs mit dem Schwert des Schlächters und holte damit aus. Dann jedoch setzte er noch einmal ab, betastete die Lenden, um den Mästungszustand des „Rindes“ zu prüfen. Natürlich war es abgemagert. Abu Sina kritisierte die umstehenden Bediensteten, dass sie ihm ein so schlecht ernährtes Rind zum Schlachten geben wollten. Erst wenn das Rind so richtig gut gemästet sei, würde er wiederkommen, um es zu schlachten, und das Fleisch unter dem Volk zu verteilen. Der alte persische Bericht fährt fort: „Der König muhte verzückt“. In der Folge akzeptierte er wieder menschliche Nahrung, und der Bericht schließt mit den Worten:“Und er genas unter der Pflege des großen Abu Sina.“
Abu Sina hatte also einen Weg gefunden, die Wahnvorstellung des Königs so zu utilisieren (zu nutzen), um eine Heilung einzuleiten.
Doch nicht nur Wahnvorstellungen lassen sich nutzen. Auch die Fähigkeit des Klienten, wütend zu werden, oder andere Fähigkeiten kann man utilisieren.
So beschimpfte Erickson z.B. einen Schlaganfallpatienten aus Deutschland im Erstgespräch so lange als Nazi, bis dieser empört aufstand, wutentbrannt „Nein“ brüllte und ein paar Schritte in Richtung Ausgang machte. Zuvor war er nicht einmal in der Lage gewesen, sich von seiner Liege aufzurichten oder zu sprechen.
Natürlich hat sich Erickson später bei dem Patienten entschuldigt und ihm seine Vorgangsweise erklärt.
Auch hier gibt es Parallelen zu einem anderen Fall mittelalterlichen persischen Behandlungskunst.
Der Arzt Rases (ca 800 n. Christus) beschimpfte einen gelähmten König so lange, bis dieser sich vor lauter Zorn von seinem Lager aufrichtete, was ihm davor eigentlich nicht möglich gewesen war.
Ich habe fast den Eindruck, Erickson dürfte ausführlich die Geschichten der alten persischen Heilkunst studiert haben 😉
Auch Störungen während einer Hypnose kann man utilisieren:
Handy läutet: „…und nun höre das Signal der Botschaften, die an dich und dein Unterbewusstsein gerichtet sein mögen, um dir zu sagen dass du nun immer tiefer in dich gehen kannst, egal was rundherum passiert ist jetzt nicht wichtig…“ (oder so ähnlich)
Lautes störendes Geräusch von aussen: „…und ich möchte, dass du bewusst das wahrnimmst, was jetzt stört, damit meine Worte frei und ungehindert in dein Inneres finden um dort ihre Wirksamkeit zu entfalten, ganz und gar in deinem Sinne…“ (finde ich z.B. besonders elegant)
Hund bellt: „… und du nimmst das Hundebellen wahr und konzentrierst dich ein paar Augenblicke darauf, um festzustellen, dass es ganz normal ist, wenn Hunde bellen, und du dich ruhig weiter entspannen kannst, weil du weißt, dass diese Situation keinerlei Aufmerksamkeit von dir verlangt, die dir nun zur Verfügung steht um zu merken, wie dein Unterbewusstein beginnt, jene Veränderungen einzuleiten, die ganz und gar in deinem Sinne….“ (und so weiter)